Eröffnungsrede Nicole Güther MA

In der Garlerie Julia Philippi, Dossenheim

22. Sept –03. Nov. 2017

 

Lorant Szathmáry – Serien/ Fotografie

 

In der Ausstellung sehen wir S/W-Fotografien verschiedener Werkgruppen und Serien, die Lorant Szathmary in den letzten Jahren gemacht hat.  Den Auftakt bildet eine Werkgruppe, die sich Zäunen bei Nacht und bei Tag widmet. Dominieren in den Nachtaufnahmen Horizontalen und Vertikalen, die das Bild strukturieren, so dominiert in den Tagesaufnahmen die Textur des Holzes, seine ebenfalls lineare Struktur. Darauf folgen die jüngsten Arbeiten, die im letzten Jahr auf einer Reise durch Indien entstanden sind. Sie zeigen uns ein anderes fotografisches Bild als wir es von dem Subkontinent gewohnt sind: keine Farben, keine belebten Straßen der Millionenmetropolen, bevölkert von Menschenmassen. Schließlich in diesem Raum angekommen, stoßen wir auf die Werkgruppen „Chaos“ mit den Serien „Lampen“ und „Werkstadt“ im Gegenüber mit seiner Werkgruppe „Ruhe“, die uns verlassene stille Orte zeigen. 

Kommen wir in den Hauptraum, dann wird schnell klar, dass der Mensch sein Thema nicht ist. Oder zumindest nur indirekt. Verlassene Orte, ob Innen- oder Außenräume, sind die Hauptmotive im fotografischen Werk von Lorant Szathmáry. Der Mensch ist nur durch seine Spuren vorhanden, auf ihn wird lediglich in Form von humanen Elementen des urbanen Raums verwiesen. Er ist abwesend anwesend. Ist mitzudenkende Leerstelle im Bild. Hat die Natur etwas transzendentales, also auf etwas Höheres verweisend, so verweist die Stadt lediglich auf ihren Erbauer: den Menschen. Die geradezu eindringlich spürbare Abwesenheit des Menschen wäre kaum so prägnant, wären es nicht Stadtfotografien.  Szathmary fotografiert nicht bekannte Orte und Gebäude, sondern jene Orte, Ecken und Plätze der Stadt an denen viele einfach ohne den Blick zu heben schnell vorbei laufen. Düster erscheinen diese für eine Stadt so typischen Orte, nicht bloß aufgrund der Nachtzeit, sondern aufgrund ihrer Verlassenheit. Ähnlich wie bei dem amerikanischen Maler Edward Hopper verweisen diese Bilder auf die Einsamkeit des modernen Menschen, wobei jener ja gerade den Menschen in leeren Räumen und an stillen Orten zum Thema hatte und somit eine Melancholie heraufbeschwört. Oft bieten die Malereien Hoppers den voyeuristischen Blick in einzelne Zimmer. Bei Szathmary bleiben wir hingegen draußen auf den leeren Straßen und mit uns allein. Wie ein Stillleben, räumlich ausgeweitet zu stillen Orten, zeigt uns der Fotograf die in der Nacht verlassenen Zwischenräume, Verkehrs- und Durchgangsräume, Höfe und Brachen. Ich möchte gern den Begriff Straßenstillleben für die Fotografien Szathmarys einführen.  Stillleben waren auch seine ersten Themen, als Szathmary Ende der 1970er Jahre die Fotografie für sich entdeckte. Der 1958 im rumänischen Siebenbürgen geborene Fotograf, siedelte 1980 in die alte BRD über und studierte in Stuttgart an der Universität Philosophie, Kunstgeschichte und Geografie. Es lässt sich nicht leugnen, dass auch biografische Einflüsse in den Motiven geltend machen. So nimmt der Minimalismus seiner Fotografien Bezug auf das Rumänien der 1970er und 80er Jahre, mit seinen Beschränkungen. In den Bildern der Leere, Bildern der Absenz klingen die Erfahrungen der Entbehrungen im kommunistischen Rumänien an, wo Strom Mangelware war und die Straßen leer. Auch der Bully mag symbolisch auf das Westdeutschland vor der Wiedervereinigung verweisen, die Art, wie er fotografiert wurde, hat jedoch stark formale Gründe. Denn nicht die Faktizität der dargestellten Welt ist, worauf es ihm ankommt. Michael Nungesser dazu: „Die gegenständlichen, vom Menschen geschaffenen Elemente (…) erscheinen in gänzlich prosaischem, von allem Geschehen bereinigten, zeitlosen Zustand (…)“. Zu diesem Effekt trägt entscheidend die Technik der Langzeitbelichtung mit der Plattenkamera bei.  Nicht das dokumentarische Festhalten der vom Verfall bedrohten Gebäude, ebenso wenig die artifizielle Erhöhung dieser anonymen Zwischenräume und banalen Gegenstände ist Motivation des Künstlers. Das Gegenständliche tritt viel mehr zugunsten der Beziehung von Hell und Dunkel zurück. Kein romantisierter, verklärter Blick auf den städtischen Raum charakterisiert die Fotografien Szathmarys, sondern ein kühler Bildaufbau aus einigen wenigen S/W-Flächen. Klare Konturen und eine enorme Konturen- und Tiefenschärfe, wie sie mittels der Großformatkamera zu erreichen ist, lösen die Gegenstände in beinah abstrakt-geometrische Kompositionen auf. Diese starken Kontraste sowie die Klarheit der Formen erinnern an Fotografien von Robert Häusser und wie für diesen, kann auch für Szathmary gelten: „Die kleinen stillen Dinge zogen mich an.“ Dennoch bleiben auch bei Szathmary die Gegenstände Gegenstand, werden nicht abstrahierend verfremdet. Der klar gegliederte Bildaufbau wird dominiert durch Vertikalen und Horizontalen, wird durchbrochen von Kurven und Linien. Wie für Hopper und Häusser, gilt auch für die Werke Szathmarys, dass die Wirkung der Bilder durch das Zusammenspiel von Licht und Schatten, hier jedoch viel mehr als Flächen von Weiß und Schwarz, erzielt wird. Die Monochromie des tiefen Schwarzes wird durchbrochen durch lichte Weiß-Flächen. In der Schwärze der Nacht verlieren Einzelheiten an Bedeutung und Genauigkeit, gewinnen grobe Strukturen hinzu und schaffen eine spannungsgeladene Dramaturgie.  Es gibt eine universelle Erfahrung von Dunkel / Schwarz und Licht, die zu den frühesten Erfahrungen des Menschen zählt: die ersten Wochen und Monate im Leben eines jeden von uns. Schwarz ist die Farbe der Absenz des Tages. Seine Radikalität, Autorität, Tiefe und Klarheit erwirkt eine ungeheure Präsenz, bannt den Blick des Betrachters. In der Werkgruppe „Chaos“ gliedern nicht große monotone Flächen das Bild, aber das Chaos wird geordnet durch Schärfe. Auch hier möchte ich Sie auffordern genau hinzusehen, auf die Klarheit zu achten und die Technik mitzudenken, jedoch nicht dem Irrtum zu erliegen, es komme auf jedes Detail an. Das auf der Mattscheibe genau komponierte, aber nicht in  der Realität arrangierte Bild, ist die herausgefilterte Quintessenz der vorgefundenen, unveränderten Realität. Diesem Zweck werden alle fotografischen Parameter untergeordnet: Blickwinkel und Perspektive, Lichtführung und Belichtung, Komposition, Bildausschnitt, Kontraste. Nicht das üppig dekadente Leuchten der Kristalllüstern interessiert, sondern die einzelnen zarten Lichtreflexe aus dem Dunkel heraus.  Während Szathmary in seinen Straßenstillleben eher eine distanzierte Betrachterposition wählt, so geht er bei seinen Fotografien von Textilien und Zäunen in der Nahansicht dicht an das grafisch abstrakte Muster heran. Auch hier gilt: Die Struktur der Welt fotografisch entdeckend, gibt sich Szathmary dem reinen Vergnügen der Form hin und macht sichtbar, „das in all dem Chaos eine Ordnung steckt“ (Cartier-Bresson). Susan Sontag meinte in ihrem oft rezipierten Essay „Über die Fotografie“, dass selbige zur kennzeichnendsten Kunstform der rastlosen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft geworden ist.

Szathmary hingegen liefert Bilder der Ruhe, des Innehaltens, des Reflektierens, die eben abseits der belebten Konsumorte, teilweise bloß eine Ecke weiter, aufgenommen wurden. „Gleichwohl deutet sich die Brüchigkeit unserer modernen Existenz und die Verwerfungen des städtischen Lebens in diesen stillen Bildern an, die sich der chaotischen Hektik des Medienzeitalters mit stoischer Ruhe entgegenstellen.“ (Zit. Michael Nungesser) Die Ruhe und Geduld, die die Technik der Plattenkamera dem Fotografen abverlangt, findet sich wieder in den bewusst gewählten und streng komponierten Schwarz/Weiß-Bildern. Das Fort-sein und Abhanden-kommen als eigentlicher Themenkomplex enthält die implizite Aufforderung zum Innehalten. Die Atmosphäre der Verlassenheit in den Fotografien, verstärkt durch einen klaren wie nüchternen Bildaufbau, schafft eine Poesie der Verlassenheit.

Danke.